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Creativ Cult

1. Alle wollen „authentisch“ sein – aber was heißt das überhaupt?

„Wir stehen für Transparenz, Vielfalt und echte Nähe.“

„Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt.“

„Wir kommunizieren auf Augenhöhe.“

Sätze wie diese füllen Webseiten, Imagefilme und LinkedIn-Profile. Sie gehören inzwischen so selbstverständlich zur Markenkommunikation wie das Logo im Footer. Und doch spüren wir: Irgendetwas stimmt nicht. Denn je öfter von „Authentizität“ die Rede ist, desto seltener wirkt sie wirklich glaubwürdig.

2025 ist „Echtheit“ das wohl meistbemühte Marketing-Versprechen – und zugleich das am schwersten einzulösende. Der Begriff ist zur Währung einer Kommunikationskultur geworden, die Nähe suggeriert, während sie oft nur Distanz verkleidet.

2. Der Aufstieg eines Buzzwords – und warum Marken „echt“ wirken wollen

Der Hype um Authentizität ist kein Zufall. In einer Zeit, in der Vertrauen zur Mangelware geworden ist – durch Fake News, Deepfakes, KI-generierte Inhalte und austauschbare Kommunikation – sehnen sich Menschen nach Klarheit. Nach echten Meinungen, echten Werten, echten Menschen.

Marken haben das verstanden. Und setzen auf eine Tonalität, die persönlicher, informeller, oft fast freundschaftlich wirkt.

Der CEO duzt plötzlich die Community. Hinter den Kulissen wird gefilmt. Aus dem „Imagefilm“ wird ein „Behind the Scenes Reel“. Und im Feed sieht man nicht mehr das perfekte Studiofoto, sondern das Selfie vom Teamevent.

Doch genau hier beginnt das Problem:
Wenn Echtheit zur Inszenierung wird, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit.

3. Die Inszenierung von Natürlichkeit – Fake-Echtheit als neuer Standard

Wer heute „authentisch“ sein will, hat meist eine Strategie dahinter. Und das ist per se nicht verwerflich. Jede Marke darf (und soll) planen, wie sie sich nach außen zeigt. Kritisch wird es, wenn Echtheit nicht mehr gelebt, sondern simuliert wird.

Beispiele gefällig?

  • CEO-Posts auf LinkedIn, die wie ein Tagebucheintrag wirken – aber vom PR-Team formuliert wurden.
  • Reels, die zeigen, wie spontan das Team brainstormt – inklusive Licht-Setup, Storyboard und geplanten „Fails“.
  • „Echte“ Testimonials, die von Schauspieler:innen nachgesprochen werden.

Diese Inszenierung von Natürlichkeit mag auf den ersten Blick wirken – langfristig hinterlässt sie Skepsis. Denn das Publikum spürt die Dissonanz: zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was gemeint ist.

4. Wenn Haltung zur Hülse wird – und die Realität nicht mithält

Ein besonders heikles Feld ist die wertebasierte Kommunikation. Viele Marken positionieren sich heute als nachhaltig, divers, inklusiv oder feministisch. Und das ist gut so – wenn es glaubwürdig ist.

Doch immer öfter bleibt es beim Anschein:

  • Die Social-Media-Kampagne zum Weltfrauentag – während intern noch Gender Pay Gap herrscht.
  • Das bunte Pride-Logo im Juni – aber keine queeren Führungskräfte im Organigramm.
  • Der „nachhaltige“ Online-Shop – dessen Produkte per Express aus Fernost verschifft werden.

Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang von Woke-Washing oder Climate Claiming – also dem Versuch, gesellschaftliche Themen zu instrumentalisieren, ohne sie wirklich zu verinnerlichen.

5. Was echte Authentizität heute bedeutet – und warum sie unbequem ist

Echte Authentizität ist kein Designstil. Sie ist ein Spiegelbild dessen, was eine Marke wirklich lebt. Und das bedeutet manchmal auch: sich Fehler einzugestehen, transparent mit Unsicherheiten umzugehen – und nicht immer perfekt zu wirken.

Es bedeutet zum Beispiel:

  • Nicht jedes Thema zu kommentieren, wenn man nichts Substanzielles dazu beitragen kann.
  • Kritik nicht wegzumoderieren, sondern darauf einzugehen.
  • Mitarbeitende zu Wort kommen zu lassen – auch wenn sie nicht der Corporate-Rhetorik entsprechen.
  • Einen Veränderungsprozess sichtbar zu machen, statt nur dessen Ergebnis zu polieren.

Marken, die das schaffen, gewinnen keine Klicks – sondern Vertrauen. Und das ist 2025 die knappste Ressource im Marketing.

6. Fazit: Authentizität ist kein Trend – sie ist eine Entscheidung

Wer als Marke „echt“ wirken will, muss zunächst die ehrliche Frage stellen:

Sind wir es auch?

Denn am Ende ist Authentizität keine Stilfrage. Sie lässt sich nicht durch Sprache, Filter oder Format erzeugen – sondern nur durch Konsistenz zwischen Innen und Außen.

Vielleicht ist 2025 also nicht das Jahr der Authentizität. Sondern das Jahr, in dem wir aufhören, sie zu performen – und beginnen, sie zu leben.

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