1. „Zeig dich. Positionier dich. Sei sichtbar.“ – Aber für wen eigentlich?
In Coachings, Karriereblogs und LinkedIn-Talks hört man es ständig:
„Du musst dich zur Marke machen.“
„Menschen kaufen von Menschen.“
„Dein USP bist du selbst.“
Und ja – in einer Welt voller Austauschbarkeit, KI-Content und wachsender Konkurrenz kann Personal Branding ein starkes Werkzeug sein.
Aber: Nicht jede:r will das. Nicht jede:r kann das. Nicht jede:r sollte das.
Denn wenn Sichtbarkeit zur Pflicht wird, entsteht ein neues Problem:
Die Überforderung durch die Selbstvermarktung.
2. Von der Marke zur Maske – Wenn das Selbst inszeniert wird
Personal Branding soll helfen, authentisch zu wirken. Doch je mehr Menschen sich sichtbar machen müssen, desto häufiger kippt das Ganze in:
- künstliche Tonalität
- aufgeblasene Positionierungen
- Rollen, die nicht zur Person passen
Was dann entsteht, ist nicht Sichtbarkeit – sondern Verstellung.
Viele wirken plötzlich gleich: Inspirierend, reflektiert, wachstumsorientiert, perfekt gefiltert.
Aber kaum jemand wagt echte Kanten, echte Pausen, echte Unsicherheit.
3. Der soziale Druck zur Sichtbarkeit
Gerade auf Plattformen wie LinkedIn oder Instagram ist Personal Branding zur sozialen Norm geworden:
- Wer nicht postet, gilt als passiv.
- Wer keine Position hat, wirkt schwach.
- Wer nicht „lernt“ oder „wächst“, fällt raus.
Doch nicht jede:r ist extrovertiert. Nicht jede:r will über private Themen sprechen. Nicht jede:r kann sich in einer Plattform-Logik ausdrücken.
Wenn Sichtbarkeit zum Bewertungskriterium wird, verlieren wir Diversität im Denken.
4. Für Marken & Unternehmen: Nicht jede Stärke ist sichtbar
Auch Arbeitgeber:innen sollten umdenken. Der Trend zur Sichtbarkeit darf nicht dazu führen, dass „laute“ Talente bevorzugt und „stille“ übersehen werden.
Fähigkeiten wie:
- strategisches Denken
- Zuhören
- analytisches Urteilsvermögen
- integratives Leadership
sind oft nicht sichtbar, aber unersetzlich.
Personal Branding darf keine heimliche Bewertungsskala in der Arbeitswelt werden.
5. Was stattdessen hilft: Kommunikationsräume statt Markenfassaden
Nicht jede Person muss eine „Brand“ sein. Aber jede Person verdient Kommunikationsräume, die zu ihr passen.
Deshalb braucht es:
- ✅ Formate für Introvertierte
- ✅ Alternativen zu Reels & LinkedIn-Selbstoptimierung
- ✅ Klarheit über das Ziel: Warum will ich sichtbar sein – und für wen?
- ✅ Und vor allem: das Recht auf Nicht-Sichtbarkeit.
Denn auch strategische Zurückhaltung kann eine Haltung sein.
6. Fazit: Sichtbarkeit ist eine Option – kein Muss
Personal Branding kann Türen öffnen.
Aber wer sich nur selbst inszeniert, verliert sich irgendwann selbst.
Vielleicht ist 2025 das Jahr, in dem wir Individualität wieder individueller denken.
Wo nicht jede Karriere gleich aussieht.
Und nicht jede Stärke sichtbar sein muss, um relevant zu sein.
Nicht jede:r ist eine Marke. Und das ist auch gut so.